Der Allgemeine Tiroler Anzeiger berichtete am 2. April 1918 über das vom Abgeordnetenhaus erlassene Gesetz über die "Tilgung der Verurteilung", das am 21. März 1918 in Kraft getreten war. Der Grund für dieses Gesetz war, dass eine Strafe oft ein Leben lang nachwirken konnte und, dass besonders bei Delikten, die in der öffentlichen Meinung als entehrend galten, die Verurteilten in ständiger Angst vor dem Bekanntwerden ihrer Verurteilung leben würden:
"Es kann jemand, der in seiner Jugend einen Diebstahl begangen hat, nach Jahrzehnten wegen Ehrenbeleidigung oder Wachebeleidigung angeklagt werden — dann wird er, wenn er vor den Richter kommt, sofort gefragt: 'Haben Sie schon eine Vorstrafe?' Und der Mensch fühlt sich, trotzdem er als Angeklagter zur Wahrheit nicht verpflichtet ist, seine Jugendsünde zu offenbaren. So wirkt die Strafe in vielen Fällen für das ganze Leben — etwas, was sie nicht soll."
Das Gesetz bestimmte folgendes: "Strafen, die nicht langer als ein Jahr gedauert haben, gleichgültig ob Arrest- oder Kerkerstrafen, werden nach einer bestimmten Zeit getilgt. In der Regel tritt diese Tilgung nur ein, wenn die Strafe die erste Strafe im Leben des Verurteilten war und wenn er seit der Verurteilung nicht neuerdings gestraft wurde. Ist jedoch die Verurteilung nicht die erste und nicht die letzte gewesen, so kann trotzdem die Tilgung ausgesprochen werden, wenn die früheren oder späteren Strafen wegen Handlungen verhängt worden sind, die geringfügig waren und nicht aus ehrloser Gesinnung beruht haben. […] Auch Verurteilten, die mehr als ein Jahr im Kerker verbracht haben, kann die Tilgung zugute kommen, aber nur dann, wenn sie wegen einer Handlung bestraft worden sind, die das Gesetz als politische Handlung erklärt. Diese Handlungen sind folgende: Hochverrat, Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe, Ausstand, Aufruhr und öffentliche Gewalttätigkeit gegen ein Amtsorgan, sofern das Verbrechen auf politischen Motiven beruht, Gewalttätigkeit gegen eine Behörde, Tötung oder schwere Körperverletzung bei einer Schlägerei, falls nicht festgestellt werden konnte, wer die schwere Verletzung zugefügt hat."
Die Tilgung musste vom Gericht ausgesprochen werden, hing aber nicht nur vom Verhalten des Verurteilten ab, sondern es musste auch die geschädigte Person zur Versöhnung bereit sein: "Eine Bedingung der Tilgung ist es aber, daß der seinerzeit Verurteilte den durch die Tat verursachten Schaden nach Kräften gutgemacht hat. Bei Eigentumsdelikten oder bei Körperverletzungen bedeutet diese Gutmachung für den seinerzeit Verurteilten natürlich ein Geldopfer. Es ist darauf zu achten, daß nicht unbedingt der Schaden ersetzt sein muß. Man muß ihn nur 'nach Kräften' gutgemacht haben. Hat man keine 'Kräfte' zum Gutmachen, so kann dies natürlich nicht eintreten. Ob man den Schaden nach Kräften gutgemacht hat, hat das Gericht zu entscheiden. Ein armer Teufel, der sich nach der Verurteilung anständig aufgeführt hat, wird also, wenn er die Tilgung anstrebt, zu dem, der seinerzeit den Schaden erlitten hat, gehen, ihm auseinandersetzen, daß er sich jetzt die ganze Zeit sittlich verhalten habe und ihn bitten, eine Bestätigung zu geben, daß er auf weiteren Schadenersatz verzichte. Eine solche Bestätigung beweist wohl, daß der Schaden nach Kräften gutgemacht wurde. Ist der seinerzeit Geschädigte zu einer solchen Bestätigung nicht bereit, dann muß derjenige, der die Tilgung anstrebt, eben suchen, einen Ausgleich mit dem Geschädigten zu treffen, und über diesen Ausgleich eine Bestätigung verlangen, die er dann dem Gericht vorlegt. Ist die Verurteilung getilgt, so ist der seinerzeit Verurteilte unbescholten."
Die Tilgung konnte nur eintreten, wenn die Verurteilung die erste war: "Diese Bestimmung ist aber nur anzuwenden, wenn der Betreffende bloß ein einzigesmal verurteilt wurde. Hat er zwei Strafen, und sei die eine noch so geringfügig, so gilt diese Bestimmung nicht."
Heutzutage gelten für die meisten Haft- und Geldstrafen gesetzlich festgelegte Tilgungsfristen. Nur Verurteilungen zu lebenslangen Freiheitsstrafen und Verurteilungen wegen Sexualstraftaten zu mehr als fünf Jahren Haft werden nicht getilgt und schließen die Tilgung anderer Verurteilungen aus.
Link:
Tilgung der Verurteilung (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 2. April 1918)
Weiterlesen: RIS – Gesetz über die Tilgung der Verurteilung vom 21. März 1918
Am 3. April 1918 berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung über den Fall Hilsner, der zu einem Beispiel antisemitisch motivierter Gerichtsprozesse wurde.
Am 31. März 1898 wurde im mährischen Polna die 18-jährige Agnes Hruza ermordet aufgefunden. Ohne jeglichen Beweis wurde der Jude Leopold Hilsner verhaftet. Weil in dieser Zeit antisemitische Vorurteile grassierten und man deshalb der jüdischen Bevölkerung Ritualmorde unterstellte, wurde auch Leopold Hilsner wegen Ritual- und Sexualmordes an der christlichen Agnes Hruza angeklagt. "1899 fielen in die Karwoche auch die jüdischen Osterfeiertage. Schon die ersten Erhebungen der Gendarmerie gründeten sich auf dem Ritualmordmärchen und beschäftigten sich hauptsächlich damit, ob der Leichnam der Hruza entblutet und was mit dem Blute geschehen sei" berichtete die Illustrierte Kronen-Zeitung. Laut antisemitischer Vorurteile hätte Hilsner das Mädchen geschächtet, um ihr Blut für Pessach zu erhalten.
Die Untersuchungen wurden nach kurzer Zeit eingestellt, aber die "Angelegenheit wurde nun im niederösterreichischen Landtag durch den Abgeordneten Ernst Schneider aufgenommen, der unter Drohungen gegen Justizminister Ruber verlangte, daß das Verfahren gegen Hilsner wieder eingeleitet werde. […] Nach fünftägiger Verhandlung verneinten die Geschwornen die auf Meuchelmord lautende Hauptfrage, bejahten dagegen die Frage der Mitschuld am Menschenmord. Das Urteil lautete auf Tod durch den Strang."
Leopold Hilsner legte mit Erfolg Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ein und der Fall wurde zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen. Dort wurde Hilser erneut erneut zum Tode durch den Strang verurteilt und "wurde zuerst in die Strafanstalt nach Pankratz gebracht und später auf seine Bitten in die niederösterreichische Strafanstalt in Stein bei Krems überführt, weil er die Gehässigkeit der Zellengenossen in Pankratz nicht länger ertragen zu können erklärte."
Auf Grund internationaler Proteste begnadigte Kaiser Franz Joseph Leopold Hilsner 1901 zu lebenslänglicher Kerkerhaft. Erst am Ostersonntag 1918 sollte Hilsner von Kaiser Karl begnadigt werden: "Ein kaiserlicher Gnadenakt hat Leopold Hilsner, dem 'Ritualmörder' von Polna, die Strafe nachgesehen. Nachdem Hilsner 18 Jahre im Kerker verbracht hat, ist er am Ostersonntag aus der Strafanstalt Stein entlassen worden. Die Geburt seines vierten Sohnes hat den Kaiser veranlaßt, eine Anzahl Verbrecher, die sich während der Strafzeit brav gehalten haben, zu begnadigen."
Leopold Hilsner lebte nach seiner Freilassung in Wien und starb 1928, bis heute wurde er nicht rehabilitiert. 2002 wurde am letzten Wohnhaus Hilsners in Wien und 2008 am Zentralfriedhof Wien eine Gedenktafel angebracht.
Links:
Leopold Hilsner – begnadigt (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 3. April 1918)
Weiterlesen: Berger: Fall Hilsner markantes Beispiel für Versagen der Justiz
Weiterlesen: Der Fall Hilsner
Weiterlesen: Der Fall Hilsner: Ritualmord in Polna vor hundert Jahren
Heute vor hundert Jahren berichtete die in Wien-Landstraße erscheinende Heimat über die Folgen des Krieges für den Mittelstand und Gewerbebetriebe: "Eine der auffallendsten Folgen des Kriegszustandes ist die Schließung vieler kleiner Geschäfte. Die Ursachen der Betriebseinstellung sind verschiedener Natur: Einrückung des Eigentümers, Mangel an Betriebsmaterial oder Wegfall des gewohnten Kredites."
Daher erschien Hilfe der öffentlichen Hand für den "Mittelstand" (siehe auch die Geschichte vom 19. Februar 1918) als das Gebot der Stunde: "Je nach der Ursache der Betriebseinstellung wird also auch die Hilfeleistung verschieden sein müssen: Beschaffung von Stoffen, Maschinen oder Kredit wird die dringlichste Maßregel sein – im Wesen sind es also lauter Geldfragen, die zu lösen sind. Es wurde daher in einigen österreichischen Kronländern schon vor längerer Zeit daran gedacht, aus öffentlichen Mitteln eine Hilfe für jene zu organisieren, die aus Eigenem nicht imstande sind, bei der Rückkehr aus dem Kriege ihre kaufmännischen oder gewerblichen Unternehmungen gleich wieder aufzunehmen und deshalb in Gefahr sind, völlig zu verarmen."
Einige Kronländer hatten tatsächlich solche Hilfsleistungen bereits in die Wege geleitet. So war etwa der mährische Gewerberat der erste, der einen "Hilfefonds" eingerichtet hatte, aus dem im Krieg stehende Handwerker, Darlehen bis 3.000 Kronen bekommen konnten. Damit die Kreditnehmer nicht "von den Zinsen aufgefressen werden", übernahm die Brünner Handelskammer selbst einen Teil davon.
Auch im heutigen Österreich, genauer in Niederösterreich, wurden ebenfalls Maßnahmen zugunsten des Kleingewerbes getroffen: "In Niederösterreich hat der Landesausschuß eine Aktion eingeleitet, die sich auf das ganze Land erstrecken soll. Auch in den kleinsten Orten sollen vom Kriege betroffenen Gewerbsleuten Kredite durch langfristige Darlehen gewährt werden: Der Mann bekommt also, wenn er aus dem Kriege kommt, so viel Geld in die Hand, daß er seinen Betrieb wieder aufrichten und aus dem Ertrag das Darlehen abzahlen kann. Das Land muß natürlich Vorkehrungen treffen, um sicher wieder zu seinem Gelde zu gelangen. Deshalb wird die Gemeinde für die Heimkehrenden einreichen, selbst aber die Garantie übernehmen, was sie natürlich nur tun kann, wenn sie über den Bewerber, seine Vermögens Verhältnisse, seine Aussichten und seine Vertrauenswürdigkeit Günstiges weiß. Zu ihrer eigenen Sicherheit aber schließt die Gemeinde eine Versicherung auf das Leben des Kreditnehmers ab, so daß sie nur das verhältnismäßig geringe Risiko seiner immerhin möglichen Zahlungsunfähigkeit trägt. Die Rückzahlung soll in 10 Jahren erfolgen, wobei jedoch das erste Jahr nach Erhalt des Darlehens von jeder Zahlung freibleibt."
Link:
Die Wiederaufrichtung des Gewerbes (Heimat vom 4. April 1918)
Im Ersten Weltkrieg mangelte es nicht nur an Ressourcen, es kam auch zu einem Arbeitskräftemangel. Besonders landwirtschaftliche Betriebe waren davon betroffen, weshalb sich die Urlaubsgesuche der Soldaten im Frühjahr 1918 häuften. Die Gesuche wurden allerdings nur selten bewilligt, was die Soldaten als ungerecht empfanden und die Stimmung an der Front negativ beeinflusste.
Der Allgemeine Tiroler Anzeiger berichtete am 5. April 1918: "Die Ansuchen von Angehörigen der Militärpersonen um Erteilung von landwirtschaftlichen Urlauben häufen sich beim Kriegs Ministerium derart, daß sich dieses im Einvernehmen mit dem k.k. Ministerium für Landesverteidigung genötigt sieht, folgendes zu verlautbaren: Das Einbringen von Gesuchen beim Kriegsministerium ist vollkommen zwecklos, da nach den bestehenden Erlässen dem Kommandanten des Ersatzkörpers, bezw. einer Anstalt das Recht der Beurlaubung zusteht und das Kriegsministerium bei einer eventuellen Beurlaubung doch erst das Gutachten desselben in Beziehung auf Entbehrlichkeit und Berücksichtigungswürdigkeit des Reklamierten einholt. Es hat demnach die Vorlage dieses Gesuches beim Kriegsministerium bloß eine Verzögerung zur Folge. Völlig zwecklos ist das Einbringen von Gesuchen um Beurlaubung von Personen, die der Armee im Felde angehören. Diese Gesuche werden vom Kriegsministerium lediglich dem zuständigen Kommando im Felde übermittelt. Bemerkt sei, daß vom Kriegsministerium im Einvernehmen mit dem k.k. Ministerium für Landesverteidigung bei Herausgabe der diesbezüglichen Erlässe allen militärischen Behörden zur Pflicht gemacht wurde, für die weitgehendste Urlaubsmöglichkeit, besonders bei den den landwirtschaftlichen Berufen angehörenden Personen, zu sorgen. Auch wird betont, daß die beim Rapporte vorgebrachte Bitte vollkommen genügt und nicht erst durch zahlreiche Gesuche unterstützt werden muß."
Auch heute wird Soldaten des österreichischen Bundesheeres nur in dringenden Fällen, insbesondere aus familiären oder persönlichen Gründen, eine Dienstfreistellung gewährt. Dies aber auch nur unter der Voraussetzung, dass der Dienstfreistellung keine militärischen Erfordernisse entgegenstehen.
Links:
Erledigung von Urlaubsgesuchen (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 5. April 1918)
Weiterlesen: Der Fronturlaub
Weiterlesen: "Alltag" ohne Kampfgeschehen – "Alltag" trotz Kampfgeschehens
Heute vor hundert Jahren wurde der wohl berühmteste Einbrecher Wiens, Johann Breitwieser verhaftet. Der "Meidlinger Einbrecherkönig" oder auch "Robin Hood Wiens", gelangte schnell zu Berühmtheit. Geboren wurde Johann "Schani" Breitwieser als sechstes von zwölf Kindern 1891 in Wien-Meidling. Die Familie stammte aus ärmlichsten Verhältnissen und der junge Breitwieser wuchs als Straßenkind auf. Schon 1906 geriet er zum ersten Mal in Konflikt mit dem Gesetz und bald wurde die Einbrecherbande "Bruderschaft der schwarze Larve" auf ihn aufmerksam und nahm ihn als Mitglied auf. Die Bande ging gemeinsam auf Raubzüge und verteilte einen Teil ihrer Beute unter den Armen. Den Spitznamen "Meidlinger Einbrecherkönig" bekam Breitwieser nachdem er das Kriegsministeriums einbrach und aus dem Tresor 80.000 Kronen (39.254,- Euro) entwendete. Im Ersten Weltkrieg wurde er an die Ostfront geschickt, wo er psychische Anfälle simulierte und deshalb in das psychiatrische Krankenhaus Am Steinhof verlegt wurde, von wo ihm 1917 die Flucht gelang.
Am 7. April 1918 berichtete die Neue Zeitung über die Verhaftung Breitwiesers: "Gestern vormittags ist es endlich gelungen, dem seit längerer Zeit gesuchten, gefährlichen Einbrecher Johann Breitwieser auf der Schmelz zu verhaften. Gegen halb 10 Uhr vormittags bemerkten ein Polizeiagent und ein Korporal der Militärpolizei den Verfolgten, als dieser das Haus in der Dreyhausenstraße 40 verließ [...]
Der Polizeiagent und der Korporal der Militärpolizei machten sich sofort an die Verfolgung Breitwiesers, der das bemerkte, zog einen Revolver und gab mehrere Schüsse gegen die beiden Wachorgane sowie auch gegen einen Inspektor der Sicherheitswache ab, der sich der Verfolgung anschloß. Nun begann eine wilde Jagd nach dem Verfolgten, der glücklicherweise ohne zu treffen, immerfort nach rückwärts schoß, während auch die Verfolger von ihren Schußwaffen Gebrauch machten und ihm Schüsse nachsandten, ebenfalls ohne ihn zu treffen. Eine große Menschenmenge schloß sich an: in wilder Flucht ging es durch mehrere Straßenzüge. an der Gummifabrik der Semperitwerke vorbei, der Schmelz zu, über Felder und Wiesen, die Polizisten dem Fliehenden immer hart aus der Ferse. Breitwieser blieb einen Augenblick wie erschöpft stehen und schon glaubten die Verfolger seiner habhaft zu werden, als er neuerdings tief Atem schöpfend aufs neue die Flucht, in regellosem Zickzack über die Schmelz begann, indem er noch ungefähr zwanzig Schüsse aus zwei Revolvern, die er bei sich hatte, abgab. Dann eilte er in die Richtung des Erzherzog Rainer-Spitals weiter. Hier konnte er endlich nächst der Totenkammer des Spitals vor Erschöpfung nicht weiter. Man sah, wie ihm der Atem ausging, wie er zu taumeln begann, und plötzlich zu Boden stürzte. Noch suchte er sich mit Händen und Füßen zu wehren, bis er überwältigt und zum Kommissariat Rudolfsheim in der Tannengasse gebracht wurde."
Trotz Sicherheitsvorkehrungen konnte Breitwieser im Dezember 1918 erneut fliehen und erst im April 1919 wieder aufgespürt werden. Sein letzter großer Coup gelang ihm am 18. Jänner 1919 als er gemeinsam mit seiner Bande in die Hirtenberger Munitionsfabrik einbrach und eine halbe Million Kronen (245.335,- Euro) erbeutet. Am 1. April 1919 wurde sein Haus im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern, Riegergasse 5, von der Polizei umstellt und unter Beschuss genommen. Es gelang der Polizei ihn zu fassen, allerdings war Breitwieser schwer verwundet und erlag am darauffolgenden Tag seinen Verletzungen. Zeitgenossen berichteten, dass an seinem Begräbnis zwischen 20.000 und 40.000 Personen teilnahmen, was von der Popularität des Wiener Volkshelden zeugt.
Bis heute ist Johann "Schani" Breitwieser eine beliebte Vorlage für Singspiele, Romane und Fachbücher. So führte beispielsweise das Wiener Schauspielhaus 2014 "Johnny Breitwieser, eine Verbrecher-Ballade aus Wien" auf.
Links:
Verhaftung des Einbrechers Breitwieser (Die Neue Zeitung vom 7. April 1918)
Weiterlesen: Der Eisenschlitzer
Weiterlesen: Johnny Breitwieser: Der Asphalt macht dich erwachsen
Weiterlesen: Schani Breitwieser: Ein Serien-Einbrecher als König von Meidling
Weiterlesen: Ein Anarcho aus dem Fin-de-Siècle
Am 7. April 1918 berichtete die Arbeiter-Zeitung über die Arbeit der Kinderfreunde. Dies heute noch sehr aktiven Organisation wurde vor 110 Jahren, also im Jahr 1908, vom Sozialdemokraten Anton Afritsch in Graz unter dem Grundsatz "Wir leben und wir arbeiten, damit es unseren Kindern einmal besser geht" gegründet. Bis 1914 entstanden in Kärnten, Wien, Niederösterreich, Tirol, Salzburg und Oberösterreich weitere Ortsgruppen.
Die Arbeiter-Zeitung: "Die Zahl der Mitglieder ist von rund 4000 auf rund 10.000 gestiegen, die Zahl der Ortsgruppen von 22 auf 30. Der Verein hat mit Erfolg seine Tätigkeit mehr und mehr auf die Industrieorte Niederösterreichs ausgedehnt. [....] Die Zahl der Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene stieg beträchtlich. 5830 Veranstaltungen mit 295.000 Teilnehmern waren es 1916 und 7386 Veranstaltungen mit 472.000 Teilnehmern 1917. Fast eine halbe Million Kinder hat der Verein bei seinen Veranstaltungen vereinigt […] Die Veranstaltungen für die körperliche Ertüchtigung der Kinder überwogen. An ihnen nahmen 285.000 Kinder teil, an den Veranstaltungen zur geistigen Förderung 176.000 Kinder. Dabei ist zu erwägen, daß gerade der körperlichen Betätigung große Schwierigkeiten entgegenstanden. Es fehlte an Lebensmitteln, Schuhen und Kleidern, den wichtigsten Voraussetzungen für Massenausflüge, Badegänge und Spieltage. Die steigende Kriegsnot zwang den Verein, einem Tätigkeitszweig im Jahre 1917 größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, mit dem 1916 erst zwei schüchterne Versuche gemacht worden waren. Es ist dies der Betrieb von Tagesheimstätten. […] In diesen Tagesheimstätten erhalten die Kinder tagsüber Verpflegung. […] Die durchschnittliche Gewichtszunahme betrug 1,76 Kilogramm zum Unterschied von den Kindern in Igls, die dort in der ersten Reichsferienkolonie der Kinderfreunde Unterkunft fanden und die durchschnittlich mit 3 Kilogramm Gewichtszunahme als Feriengewinn in die Stadt zurückkehrten."
Heute spielt das "Aufpäppeln" hungernder Kinder glücklicherweise nicht mehr zu den zentralen Aufgaben der Kinderfreunde, sondern der vor genau 99 Jahren aufgenommene Betrieb von Kindertagesstätten und die Interessenvertretung von Kindern und Familien, wobei Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität, Gewaltverzicht und Toleranz im Mittelpunkt der Arbeit der Kinderfreunde stehen.
Links:
Ein Jahr Kinderfreundearbeit (Arbeiter-Zeitung vom 7. April 1918)
Weiterlesen: Die Kinderfreunde – Geschichte
Der Allgemeine Tiroler Anzeiger beschäftigte sich am 8. April 1918 mit der Zukunft der Tiroler Waldwirtschaft: "Ein gut aufgeforsteter, mit Sachkenntnis gepflegter Wald bildet einen nicht zu unterschätzenden Teil des Volksvermögens. Der Tiroler Landwirt wußte seit jeher die Vorteile des Waldbesitzes richtig einzuschätzen, allein der Holzhandel nach auswärts blieb ihm mangels der nötigen Verkehrsmöglichkeiten versagt."
Allerdings lag der Tiroler Holzhandel vorwiegend in italienischen Händen: "Als die Brenner- und Pustertalerbahn dem Verkehr, übergeben wurden, rissen italienische Geschäftsfirmen den Holzhandel im südlichen und südöstlichen Teil, Tirols vollständig an sich. Versuche heimischer Leute, diesen Handel in eigener Regie in die Wege zu leiten, scheiterten an der großen Konkurrenz dieser welschen Firmen. Die Folge davon war, daß die Agenten dieser Handelshäuser – durchwegs Vollblutitaliener – in den Tälern am Eisack, an der Etsch, Rienz und an der Drau seßhafte Stellungen einnahmen und sich mit der Zeit daselbst und in den angrenzenden Seitentälern als 'Könige' der Wälder gebärdeten. Nach und nach wurden in wasserreichen Gegenden Grundstücke angekauft und daraus Sägemühlen erbaut. Als Holzfäller und Sägemeister wurden ausschließlich nur Reichsitaliener bestellt; die heimischen auf Taglohn angewiesenen Arbeitskräfte hatten dabei das Nachsehen. Und so rollten Jahrzehnte hindurch aus Tirols herrlichen Wäldern Millionenwerte nach Italien."
Da sich Österreich-Ungarn im Kriegszustand mit Italien befand, befasste sich der Allgemeine Tiroler Anzeiger mit einer Zukunft der Waldwirtschaft ohne italienischen Einfluss: "Daher muß die Frage in Erwägung gezogen werden, auf welche Art und Weise ohne die italienischen Holzagenten die noch so reich vorhandenen schlagbaren Waldbestände einer rationellen und gewinnbringenden Verwertung zugeführt werden können. Zwei Möglichkeiten stehen hier offen: Entweder die Gründung einer ausgedehnten Holzindustrie im Lande selbst oder die Umschau nach einem rentablen Absatzgebiet. Ersteres Unternehmen wäre entschieden vorzuziehen, da es in Tirol an natürlichen Hilfsquellen, namentlich an Wasserkräften, nicht mangelt und auch die Beschaffung des Betriebskapitales keinen sonderlichen Schwierigkeiten begegnen dürfte. Was aber die Suche nach einem Absatzgebiet anlangt, dürfte in erster Linie wohl nur das mit Tirol eng verbündete Deutsche Reich in Betracht kommen, das vermöge seiner großen Entwicklung aus allen Gebieten der Industrie ein solches Angebot sicher annehmen würde."
Auch heute noch ist der Wald ein wichtiger Lebens- und Arbeitsraum, knapp die Hälfte der Fläche Österreichs ist mit Wald bedeckt (rund vier Millionen Hektar), der dabei wichtige Funktionen erfüllt, u.a. als Nutz-, Schutz-, Wohlfahrts- und Erholungswald. Rund 300.000 Menschen leben in Österreich von der Wald- und Forstwirtschaft und erwirtschaften dabei etwa 4% (ca. 12 Mia. Euro) des österreichischen Bruttoinlandsprodukts.
Link:
Die Zukunft der Waldwirtschaft (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 8. April 1918)
Heute vor hundert Jahren berichtete die Neue Zeitung von den Einschränkungen bei Kuraufenthalten und Sommerfrischen aufgrund der Lebensmittelknappheit. Da das Amt für Volksernährung nur noch wenige Kurorte ausreichend mit Lebensmitteln versorgen konnte, wurden einschränkende Regelungen für Kurgäste aufgestellt:
"Die herrschende Lebensmittelknappheit zwingt das Amt für Volksernährung von der Einleitung einer Allgemeinen Aktion zur Versorgung der Kurgäste ärmlicher Heilbäder, Kurorte und Sommerfrischen Abstand zu nehmen und sich darauf zu beschränken, bestimmte Heilbäder, die mit Rücksicht auf die Heilkraft ihrer Quellen von ganz besonderer Bedeutung sind, mit den unumgänglich notwendigen Lebensmitteln, und zwar mit Mehl, Fett, Zucker und Kriegskaffeemischung, zu beliefern. […] Die Lebensmittel, die diesen Orten zur Verfügung gestellt werden können, sind nur in sehr beschränktem Ausmaße vorhanden, daher muß der Kreis der Personen, deren Verpflegung den Heilbädern obliegen wird, möglichst eng gezogen werden. Dementsprechend haben nur folgende Personen einen bevorzugten Anspruch auf Verpflegung: Kranke, die mit einem ärztlichen, vom Amtsarzt ihres ständigen Wohnsitzes bestätigten Zeugnisse nachweisen, daß sie die Kur im Interesse ihrer Gesundheit unbedingt benötigen: Begleitpersonen von kranken Kurgästen – hierbei kann jedoch jedem Kurgast nur eine Begleitperson und auch diese nur dann bewilligt werden, wenn es der Zustand des Kranken erfordert und dieser Umstand durch den Amtsarzt seines ständigen Wohnsitzes bestätigt ist – und Saisonangestellte (Geschäftsleute Dienstpersonal und dergleichen). […] Alle Personen, die in diesem Jahre einen Sommeraufenthalt zu nehmen beabsichtigen, tun dies auf eigene Gefahr. Die Verpflegung von Personen, die Kurorte und Sommerfrischen aufsuchen, wird daher in der Regel nur in der Weise erfolgen können, daß sie in ihrem ständigen Wohnsitze rayoniert bleiben und sich die Lebensmittel nachsenden lassen. Damit diese Nachsendung möglichst glatt und rasch vor sich geht, werden die Eisenbahnverwaltungen nach Tunlichkeit für eine bevorzugte Beförderung dieser Lebensmittel, wo es angeht, nach den Grundsätzen der Expresszusendungen Sorge tragen."
Um das sogenannte Hamstern (siehe auch die Geschichte vom 27. Oktober 1917) unter den Gästen zu vermeiden, war es den Landesbehörden erlaubt vor der Abreise eine Revision des Gepäcks vorzunehmen. Ein Sommerurlaub oder Kuraufenthalt war also nur noch unter bestimmten Voraussetzungen durchführbar.
Links:
Besuch der Heilbäder, Kurorte u. Sommerfrischen (Die Neue Zeitung vom 9. April 1918)
Weiterlesen: Der Surrogat der Sommerfrische
Vor hundert Jahren ereignete sich ein brutaler Raubmord in der Wiener Favoritenstraße 37, der durch das noch junge Fingerabdruckverfahren gelöst werden konnte: "Dieselben Hände, mit denen er die würgende Schnur um den Hals seines Ofers geschlungen, waren an ihm auch zu Verrätern geworden."
Ladislaus Prazan hatte sich Zugang zu der Wohnung der Familie Petr, verschafft und dabei die Scheiben der Glastür zum Schlafzimmer eingeschlagen. Nachdem er Schmuck und mehrere Pelze an sich gebracht hatte wollte er das Haus verlassen. Dabei überraschte er Aloisia Sliwa, die zu fliehen versuchte. Prazan sah den Tod Sliwas als einzigen Ausweg nicht erkannt zu werden, zerrte sie in die Wohnung, ergriff eine Schnur und erdrosselte die Unglückliche. Der Verdacht der Polizei fiel rasch auf Prazan, der die Tat leugnete. Die Polizei hatte allerdings neuartige Beweise gegen ihn: seine Fingerabdrücke.
"Wie wir schon gestern berichteten, hat dann die daktyloskopische Untersuchung der Fingerabdrücke bei dem Pfeilerkasten in der Wohnung des Kürschnermeisters Petr und an den zerbrochenen Splittern der Glastür mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit ergeben, daß nur der Kürschnergehilfe Ladislaus Prazan die Tat begangen haben kann. Besonders deutliche Fingerspuren wies der Pfeilerkasten auf. Mit großer Kraftaufwendung muß Prazan, der ja augenscheinlich keinerlei Einbruchswerkzeug zu Hilfe nahm, die eine Hand gegen diesen Kasten gestemmt haben, während er mit der anderen an dem Handgriff des Türchens so lange zog und riß bis die Messingschräubchen am Schloß sich loslösten und dieses nachgab. So hat der Täter – allerdings nur für den Kundigen lesbar – gewissermaßen seine Visitkarte am Schauplatz des Verbrechens zurückgelassen. An vier Fingerabdrücken wurde alsbald im Erkennungsamt festgestellt, daß sie von der rechten Hand Prazans herrühren, daß er also den Einbruch und mithin auch den Mord an Fräulein Aloisia Sliwa verübt hat." Ladislaus Prazan erkannte seine ausweglose Situation und gestand seine Tat.
Am 8. Oktober wurde Prazan in Wien zum Tode durch den Strang verurteilt. Nach der Ausrufung der Republik wurde die Todesstrafe allerdings abgeschafft und Prazan von (Bundes-)Präsident Karl Seitz nach einer Empfehlung des Staatsamtes für Justiz zu 15 Jahren Kerkerhaft begnadigt. Tatsächlich fungierte der Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung Karl Seitz von 5. März 1919 bis zur Angelobung des ersten Bundespräsidenten Michael Hainisch am 9. Dezember 1920 als verfassungsmäßiges Staatsoberhaupt.
Erste Versuche mit Daktyloskopie wurden bereits 1877 unternommen. In Österreich wurden Fingerabdrücke ab 1902 als Identifikationsmethode herangezogen, wobei der Wiener Polizeiagent Rudolf Schneider Pionierarbeit leistete, indem er 1909 eine "Folie zur Abnahme und Fixierung von Fingerabdruckspuren" entwickelte.
Links:
Der Raubmord am Telephon (Illustrierte Kronen Zeitung vom 11. April 1918)
Weiterlesen: Die "Wiener Folie"
Weiterlesen: Wenn dich der Fingerabdruck verrät (Die Presse)
Otto Wagner, einer der bedeutendsten österreichischen Architekten, verstarb heute vor hundert Jahren. Von 1894 bis 1912 lehrte er als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, 1911 wurde er emeritiert, konnte aber seine Lehrtätigkeit im Rahmen eines Ehrenjahres als Honorarprofessor bis 1915 fortsetzen.
Die Wiener Zeitung in ihrem Nachruf auf den Lehrmeister Otto Wagner: "Wunderbar ist diese Seite des Wagnerschen Genius. Er ist der ideale Lehrer, der es vermag, seine Theorie mit fundamentaler Logik aufzubauen und sie dann mit dem Zauber suggestivster Phantasie zu verklären. Diese seine in Form von Axiomen knapp, kühn und drastisch geprägten Vorträge sind in Buchform unter dem Titel: 'Moderne Architektur' (Verlag Schroll, Wien) erschienen."
Die drei berühmtesten Werke Otto Wagners sind die Anlagen der Wiener Stadtbahn (1892-1901), die Kirche Am Steinhof (1902-07) und das Wiener Postsparkassenamt am Georg-Coch-Platz (1904-06). Wagner trat für eine neue Baukunst ein, die auf Funktion, Konstruktion und Material basierte und verkörperte so die Verbindung von Historismus und Moderne. Aufgrund seiner in der traditionellen Architektur stecken gebliebenen Widersacher, an ihrer Spitze Wagners "Intimfeind" Erzherzog Franz Ferdinand, blieben zahlreiche Projektideen unausgeführt, darunter das Wiener Stadtmuseum am Karlsplatz. Im Nachruf der Wiener Allgemeinen Zeitung werden Wagners Gegner entsprechend kritisiert:
"Auch er mußte bis in die letzten Schaffensjahre die Grausamkeit des Wiener Genieschicksals durchleben. Noch vor acht Jahren – im Jahre 1910 – erreichte die Otto Wagner-Hetze einen niemals überbotenen Höhepunkt. Als der Kampf um den Museumsbau am Karlsplatz ein Kampf wurde gegen das Wesen echter Kunst überhaupt. Damals erhoben sich in einer Protestversammlung, die von den schöpferischen und aus ihrer Zeit schaffenden Künstlern einberufen wurde, mächtige Stimmen der Entrüstung, warnende, verzweifelnde, wissende Stimmen, die um das Werk Otto Wagners rangen."
Den Anfeindungen trotzte der Architekt Zeit seines Lebens: "Daß aber mit siebzig Jahren ein Künstler noch mit allen Idealitäten stürmenden Jugendglaubens solchen Abenteuern kühn die Stirne bot, sagt, was dieser Mann vor allem war: Ein Aufrechter. Ein Mann mit unbeugsamen Energien. Noch in der Stillehre erzogen, noch im akademischen Drill aufgewachsen, mußte er in jener Vereinsamung, die nur dem Genie erträglich ist, langsam, beinahe schon ein Vierzigjähriger, an der Erneuerung seines Selbst arbeiten."
Otto Wagner gelang es trotz beziehungsweise gerade wegen der Kritik an seiner Architektur junge Nachwuchsarchitekten für sich zu gewinnen: "Otto Wagner hat die Jugend gerufen, er hat aus seiner Erkenntnis Jünger gebildet, hat eine Schule begründet, die von Oesterreich ausgehend, in die fernste Welt Kunst breitete. Und stark geblieben in seinem Wollen, ist er gestiegen, bis zur Turmspitze emporgestiegen. Dort stand er oben, der jugendliche Greis, kühnen Blickes, schwindelfrei und winkte mit nie ermüdender Begeisterung ins heilige Land seiner großen Kunst. Ein Aufrechter, weil er sein Werk nach seiner Seele Wahrheit bildete."
Am 11. April verstarb der bedeutende Architekt an den Folgen einer bakteriellen Infektion und wurde am 14. April in der Familiengruft auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt.
Links:
Otto Wagner (Wiener Allgemeine Zeitung vom 12. April 1918)
Heute vor 100 Jahren: 8. Oktober 1918
Weiterlesen: Otto Wagner
Ausstellung: Otto Wagner im Wien Museum
Ausstellung: Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne im Hofmobiliendepot Ausstellung: Post Otto Wagner im Museum für angewandte Kunst